Ihre Kindheit war geprägt von familiären Schicksalsschlägen und instabilen Bezugspersonen. Seit Kindesbeinen erfand sie Geschichten und zog sich mental dorthin zurück. Ihr Wunsch, ein eigenes Buch zu schreiben, erwachte schon früh, rückte jedoch im Laufe der Zeit in den Hintergrund.
Im Alter von 23 Jahren erkrankte sie das erste Mal an Depressionen. Mithilfe von ambulanten und stationären Therapien kann sie ein weitestgehend normales Leben führen.
Die heute 36-jährige Frau lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Lebenspartner in der Nähe von Regensburg.

Sündenkind ist ihr Debut-Roman

Klappentext:

Ich war kein unschuldiges Mädchen. Das war mir schon vor langer Zeit genommen worden. Und meine Mitschüler nannten mich liebevoll: „Schlampe!“ Ich konnte bereits über zwanzig Männer zählen. Und das noch bevor ich sechzehn war. Erinnerte etwas an Rotkäppchen: Vom Wege abgekommen, ließ ich mich auf lüsterne Wölfe ein. Henri war einer davon. Er gierte nach Frischfleisch. Ich posierte für Nacktfotos und verkaufte meine Freundinnen wie Ware. Je jünger desto höher fiel die Vermittlungsprämie für mich aus. Auch jetzt, fast zwanzig Jahre später, ist mein Leben noch komplett aus den Fugen geraten. Dabei habe ich es doch so sehr versucht, eine gute Mutter und anständige Frau zu sein. Alles hat man mir genommen. Fast alles. Was bleibt, ist der Humor. Und Baumwollschlüpfer in Übergröße.


Leseprobe: 

Das Baustellen-Scheinwerferlicht blendete mich. Ich lag bäuchlings am Boden. In der Hand hielt ich ein Buch. Mein Nonnenkostüm war so drapiert worden, dass mein Gesäß frei zugängig war. Der Fotograf knipste mich von allen Seiten. Sein Gesicht war mit Schweißperlen benetzt. Die Hitze der Leuchten waren nicht zu unterschätzen. Mit seinem weißen Hemdärmel wischte er sich sein Gesicht trocken. Der Typ ließ sich ächzend auf die Knie fallen. Mit der Hand schob er den Stoff meines Outfits etwas nach oben. Bevor er seine Arbeit wieder aufnahm, bekam ich einen ordentlichen Klaps auf die linke Arschbacke. „Henri“ nuschelte ich. Bemüht darum, mich nicht zu bewegen. „Ja Maren, was ist denn?“ Sein Ton klang ruhig und freundlich. Er glich den weißen Laken, auf denen ich drapiert war: glatt und makellos. Henri lernte ich durch Jacky kennen. Er war ihr erster Liebhaber. Um sie in sein Bett zu bekommen, hatte er einige Scheinchen fallen lassen. Henri lud uns, wann immer es ging, zu sich nach Hause ein. Wir wurden behandelt wie Ladys. Seine sporadisch eingerichtete Wohnung war immer auf Hochglanz geputzt. Zumindest bis Jacky und ich zu Besuch kamen. Wir Mädels benahmen uns wie Showgirls. Lümmelten nackt oder mit einem Bademantel bekleidet auf dem Sofa herum. Rauchten Henris Zigaretten und tranken seinen Alkohol. Das Posieren vor der Linse war wie ein Spiel für uns. Die ersten zwei Male hatte ich noch Hemmungen und behielt meinen Slip an. Der Alkohol und Henris charmante Art befreiten mich letztendlich doch von meiner Unterwäsche. Er war wie die Raupe Nimmersatt. Bei jeder Gelegenheit berührte er mich. Bis zu einer gewissen Grenze ließ ich das auch zu. Henri machte noch einige Aufnahmen, bevor er sich dem anderen Mädchen widmete. Mit seinen 38 Jahren hätte er unser Vater sein können. Dass diese Zuneigung zu jungen Mädchen seiner krankhaften sexuellen Störung entsprungen war, begriff ich nicht. Durch Hans war meine gesamte Gedankenwelt aus den Fugen geraten. Ich war wie Rotkäppchen: Vom Wege abgekommen ließ ich mich mit lüsternen Wölfen ein. Henri war hungrig. Ihm gierte nach Frischfleisch. Je jünger, desto höher lag meine Prämie. Ich verkaufte meine Freundinnen wie Ware. Auch wenn die Nonnen-Kutte etwas anderes vermitteln sollte, war ich kein unschuldiges Mädchen mehr. Das wurde mir vor langer Zeit genommen. Abwartend saß meine Freundin auf einem Stuhl. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen. Ihre nackten Brüste hielt sie sich so gut es ging bedeckt. „Mandy, mein Sonnenschein, würdest du dich bitte zu Maren legen?“ In einer Hand hielt er die Kamera, mit der anderen wischte er sich Schweiß vom Mund und Kinn. Mandy kicherte, gehorchte und legte sich zu mir auf das unbefleckte Laken.

Leseprobe II

Erste Krise

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, erfüllt mich das weder mit Freude noch mit nostalgischen Erinnerungen. Es war eine Zeit voller Demütigungen und Gewalt. In der neunten Klasse war es ganz besonders schlimm: Ich wurde bespuckt, geschlagen oder mit Worten gedemütigt. Der Sportunterricht war jedes Mal eine körperliche und seelische Qual für mich. Mitschüler und der Abschlussjahrgang positionierten sich in einer Reihe. Der Durchgang war schmal und ich musste ihn passieren, um in die Turnhalle zu gelangen. Mit in Handtücher eingewickelten Brotdosen wurde auf mich eingeschlagen. Die Lehrer schauten weg. Am schlimmsten waren die Unterrichtseinheiten, in denen wir „Brennball“ spielten. Ein paar Außenseiter und ich wurden mit harten Bällen beworfen. So gut wie es ging, verließ ich mental meinen Körper und ließ die Angriffe über mich ergehen. Zu Hause redete ich mit niemandem darüber. Wahrscheinlich hätte es meine Mutter auch nicht interessiert.

Das Mobbing machte mir schwer zu schaffen. Ich hungerte mich runter, schlief nur noch schlecht. Ständig hatte ich Gedankenkreisen. Die Angst zerfraß mich innerlich. Suizidgedanken kamen hinzu. Mein Leidensdruck war so groß, dass mir der Wunsch zu sterben kam. Immer wieder malte ich mir aus, alle Tabletten zu nehmen. Als ich erfuhr, dass ich wahrscheinlich nicht in die zehnte Klasse versetzt werden sollte, öffnete sich ein tiefes Loch.

„Herr Henger, was kann ich tun, um doch noch versetzt zu werden?“, fragte ich meinen Lehrer hoffnungsvoll. Dieser schaute mich ungerührt an. „Das hätte dir auch schon einmal eher einfallen können, Maren! Ich hatte nicht den Eindruck, dass dir die Schule besonders wichtig sei.“

„Sie sagten doch vorhin etwas von einer Nachprüfung. Ich würde das gerne versuchen“.

Mein Lehrer fischte augenverdrehend das Klassenbuch aus seiner Aktentasche. „Um den Gesamtschnitt zu verbessern, gäbe es folgende Möglichkeiten: Du könntest in Deutsch versuchen, von drei auf zwei zu kommen. In Französisch von fünf auf vier oder in Mathematik von vier auf drei. Chemie und Physik nehme ich mal an, dass diese Fächer nicht weiter infrage kommen“.

„Ich würde es in Deutsch versuchen.“

„Würde ich dir nicht empfehlen“.

„Weil?“

„Du müsstest eine Eins schreiben und seien wir doch mal ehrlich, das schaffst du nicht, Maren“.

Selbst mein Lehrer hasste mich. Niemand sah, was mit mir los war.

Zuhause ging der Spaß nämlich weiter. Dort fühlte ich mich genauso wenig sicher wie in der Schule. Mein Stiefvater hatte an meiner körperlichen Reife gefallen gefunden. Ich musste ständig auf der Hut sein: Schloss das Badezimmer ab, lief nicht mehr freizügig herum. Selbst meine Unterwäsche wusch ich mit der Hand aus. Mein Leidensdruck wuchs ins Unermessliche. Ich entwickelte Skills, um den Druck abzubauen. Geschlechtsverkehr war eine dieser Strategien. Ich stellte meinen Körper für alle Jungs und Männer frei, die mit mir schlafen wollten. Dass ich seit drei Monaten einen festen Freund hatte, machte für mich keinen Unterschied. Ich wusste, dass diese Beziehung nicht von langer Dauer war. Niemand hielt es lange mit mir aus. Ich war launisch. Reagierte bei Kleinigkeiten schon gereizt. Dennoch war mein neuer Freund Mars nicht zum Vergraulen. Er ertrug meine Wutausbrüche. Dieser Wichser wollte sich einfach nicht verpissen.

Mars lag in meinem Bett und schaute fern, als ich nach Hause kam. Dieser erwerbslose Typ wohnte schon fast bei uns. „Bin wieder da“, rief ich in Richtung meines Zimmers. Mars erhob sich und humpelte mir entgegen.

„Macht dir dein Fuß heute wieder Probleme?“, wollte ich wissen.

„Ja, heute ist es ganz besonders schlimm.“

„Wirst wohl nie Arbeit finden, deswegen, was?“

„Na weste doch. Ick würde ja gerne. Aber ick kann ja och nischt dafür, wenn mir son Penner den halben Fuß abfährt“ Demonstrativ streckte er mir seinen geschienten Fuß entgegen.

Ich konnte das Gejammer nicht mehr ertragen.

„Zumindest drückt der Penner monatlich ordentlich Schmerzensgeld ab“, fiel ich ihm ins Wort. Er erwiderte etwas darauf. Ich allerdings hörte ihm gar nicht mehr zu. Mit gesenktem Kopf lief ich in mein Zimmer.

Mars hatte also wieder nicht aufgeräumt.

Es war alles, worum ich ihn gebeten hatte. Unsanft landete mein Ranzen in der hintersten Ecke.

„Solltest du nicht aufräumen? So geht das nicht!“ Ich schrie fast. Er zuckte nicht einmal mit der Schulter. Humpelnd setzte sich der Faulpelz auf mein Bett und ließ meine Schimpftirade über sich ergehen.

„Deine Haare konntest du aber schon färben … “ Schnaufend hob ich ein feuchtes Handtuch vom Teppichboden auf. Es war voller blauer Farbe.

Kopfschüttelnd warf ich es auf den Haufen für die Schmutzwäsche. Dabei kam mir ein Gedanke: Im Arzneimittelschrank waren Unmengen Paracetamol-Tabletten. Ich fischte eine angebrochene Packung heraus. Mit Wein aus der Küche und Tabletten bestückt, kehrte ich zurück zu Mars. Mein Körper nahm neben seinem Platz. Die Tabletten hatte ich auf meinen Schoß gelegt. „Was los? Hast du Kopfschmerzen“, fragte er besorgt. Blaue Farbe schimmerte auf seiner Stirn.

„Weißt du, was heute in der Schule passiert ist, Mars?“

„Nein. Was ist denn passiert?“

„Ich werde sitzen bleiben. Außer ich schreibe eine Nachprüfung.“
Die erste Tablette landete in meinen Mund. Sie schmeckte bitter. Schnell nahm ich einen großen Schluck Wein, um die Tablette herunterzuspülen. Mars sah mich entsetzt an.

„Hey. Die darfst du nicht mit Alkohol nehmen.“

„Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!“ Demonstrativ nahm ich mehrere Tabletten auf einmal in den Mund. Mein Freund saß einfach nur da und unternahm nichts. Warum nahm er mir die Tabletten nicht einfach weg? Aus Trotz schob ich nochmals eine Ladung hinterher und schluckte alles mit Billig-Wein hinunter.

„Hör doch auf jetzt.“ Endlich nahm er mir den Tablettenblister aus der Hand. Weinend legte ich mich in mein Bett. Voller Reue wimmerte ich in mein Kissen hinein: “Muss ich jetzt sterben?“

„Vielleicht ist dit besser, wenn du deine Mutter anrufst. Meinste nich?“

Meine Mutter hatte auf der Arbeit, nachdem ich ihr von meinem Suizidversuch berichtet hatte, alles stehen und liegen lassen, um nach Hause zu fahren. Ihre Arbeit war eine dreiviertel Stunde entfernt. Bis wir beim Arzt eintrafen und eine Einweisung erhielten, vergingen weitere sechzig Minuten. Sie blieb ununterbrochen ruhig, half mir sogar, eine Tasche fürs Krankenhaus zusammenzupacken.

Ein Fahrstuhl beförderte Mars, meine Mutter und mich in das Erdgeschoss des städtischen Krankenhauses. „Notaufnahme“ stand auf der Glastüre. Ein Pfleger kam uns entgegen. Er war bereits über den Neuzugang informiert worden. In großen Schritten kam der Typ auf uns zu. „Wer ist die Patientin“, fragte dieser barsch. Ich hob zaghaft den Finger. “Mitkommen!“ Abrupt drehte sich der Krankenpfleger um und stapfte zurück in die Notaufnahme. Er wies mich auf einer Krankenliege Platz zu nehmen. Meine Mutter und mein Freund platzierten sich am Fußende der Liege. Der Typ beugte seinen Kopf über mich. „Sag mal, spinnst du eigentlich? Hast du eine Ahnung, was du mit so einer Aktion anrichten kannst? Du kannst daran sterben“.

„Es tut mir leid“, flehte ich.

Ohne auf mich zu achten, richtete er seine Aufmerksamkeit auf meine Mutter: „Wie viel hat se denn davon genommen? Wissen sie das?“

„Hm. Ich glaube, dass es sechs Stück waren.“

„Stimmt das? Waren es sechs Tabletten oder mehr.“

Hilfesuchend schaute ich zu Mars hinauf. Ich hoffte, er würde für mich antworten.

„Wie. Viel.“, fragte er nochmals zähneknirschend.

„ 16. Es waren 16 Stück“ Ich weinte wie ein kleines Mädchen.

Sichtlich entsetzt nahm er meinen linken Arm in seine rechte Hand. Er fühlte sich kalt an. Wie der Tod. Nach einer Vene suchend befühlte er meine Armbeuge. Als ich die lange Kanüle sah, zog ich meinen Arm reflexartig weg. Ich hatte seit frühester Kindheit Angst vor Spritzen und Nadeln. „Halt still! Sonst gibts ne Sauerei.“

Er nahm mir mehrere Ampullen Blut ab. Danach wurde mir eine Kochsalzinfusion angehangen. Die Nadel in meiner Armbeuge fühlte sich unangenehm an.

Nach drei Tagen hielt ich es im Krankenhaus nicht mehr aus. Der Stationsarzt nahm eine Abschlussuntersuchung vor. Das Ultraschallgerät glitt auf einer gallertartigen Schicht über meinem Bauch. „Gut, dass du so schlank bist“, lobte mich dieser.

„Wieso?“

„Das ist gut. Man kann deine Organe einwandfrei erkennen.“

„Ist denn alles in Ordnung, da drinnen?“

„Ja. Alles in Ordnung“ Sein Blick wirkte merkwürdig verklärt. „Du bist wirklich ein ausgesprochen hübsches Mädchen“.

Ich ignorierte seine Worte. Zu mindestens versuchte ich es. „Kann ich jetzt nach Hause?“

„Ähm ja“, räusperte sich der Arzt, „Hier, zum Abtrocknen“. Er hielt mir ein kleines Baumwolltuch entgegen. Hastig wischte ich das Gel weg. Es erinnerte mich an Sperma. Nicht selten landete so etwas auf meinem Bauch.

Ein letztes Mal musste ich seinen stechenden Blick ertragen.

„Ich hole jetzt mal deine Mama rein“.

Meine Mutter saß auf einem der Stühle im Wartebereich. Sie legte eine Illustrierte zurück in eine der Ablagen. Hastig betrat sie das Untersuchungszimmer.

„Frau Bauer, mit ihrer Tochter ist alles in Ordnung. Ich würde ihnen aber empfehlen, Maren in eine Psychiatrie einzuweisen“.

Bitte, was redete dieser Penner? Niemals!

„Ich gehe in keine Klapse!“

„Na ja mein liebes Kind, deine Aktion war nicht ganz ohne.“

„Mache ich nicht mehr, versprochen.“

Hilflos schaute meine Mutter den Arzt an. Sie war sichtlich überfordert mit dieser Entscheidung.

„Dann musst du wenigstens zu einem Psychiater“, legte er fest.

„Und wenn nicht“, herausfordernd schaute ich diesem Quacksalber in die Augen.

„… Wenn nicht, werde ich das Jugendamt verständigen müssen“. Ohne mich weiter zu beachten, steckte er meiner Mutter eine Visitenkarte zu.

Ich nahm in einem gemütlichen Korbstuhl Platz. Außer mir war niemand sonst in der Praxis. Mein Suizidversuch lag drei Wochen zurück. Meine Mutter vereinbarte einen Termin bei der ortsansässigen Psychologin. Ich kannte „Psycho-Ärzte bis jetzt nur aus dem Fernsehen. In den amerikanischen Filmen und Serien, nahmen die Patienten auf einem Sofa Platz. Ob man nach nur einer Sitzung geheilt wäre? Aber wovon sollte man mich eigentlich heilen?

Der Suizidversuch erschien mir weit weg. Es war für mich nicht mehr nachvollziehbar gewesen. Mich plagten derzeit ganz andere Probleme: Meine beste Freundin, Jacky und ich waren seit einer Woche zerstritten. Wir verbrachten eine gemeinsame Woche zusammen mit anderen Jugendlichen in Tschechien. Wir stritten uns wegen einer Kleinigkeit. Seitdem war Funkstille zwischen uns. Dieser Umstand brach mir fast mein Herz. Das Einzige, was mir etwas Trost spendete, war Laika. Eine acht Wochen alte Mischlingshündin. Ich hatte sie einer Bekannten abgekauft. Laika ließ mich so viel vergessen. Endlich, ein Hund! - ein lang ersehnter Traum war in Erfüllung gegangen.


„Bis nächste Woche“, hörte ich eine Frauenstimme sagen. Die Tür, welche Praxis und Wartezimmer voneinander trennten, wurde geöffnet. Heraus trat ein Mädchen in meinem Alter. Ohne mich weiter anzusehen, schlürfte diese an mir vorbei Richtung Ausgang. „Dann musst du Maren sein“, las sie von einer Karteikarte ab. Nickend erhob ich mich. „Komm doch herein“, bot sie mir an.

Das Zimmer war gemütlich eingerichtet. Zimmerpflanzen in handbemalten Keramik-Töpfen und dezente Bilder. Es gab einen Schreibtisch, zwei Sitzsäcke und ein Sofa. Allerdings stand das Teil am anderen Ende des Zimmers und war ziemlich niedrig. „Du darfst dir gerne einen Platz aussuchen und es Dir gemütlich machen“. Ich wählte einen der Sitzsäcke aus. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß die Seelenheilerin auf ihrem Drehstuhl. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Körperlich wirkte sie sportlich, eher wie Mitte vierzig. Kleine Fältchen um Augen und Mund ließen sie aber älter wirken. „Ich heiße Frau Nadini“ Ein Lächeln ließ ihre Fältchen verschwinden. Ich fühlte mich in Frau Nadinis Gegenwart wohl. „… Und ich bin Maren“, lächelte ich zurück. Frau Nadini griff nach einem gelben Papier-Hefter. Sie beleckte sich den rechten Zeigefinger, um einige Seiten im Hefter umzublättern. „Ich hatte vor ein paar Tagen mit deiner Mutter telefoniert. Ich rede immer zuerst mit den Eltern, bevor ich eine Therapie anfange.“

„Aber dann wissen sie doch bereits alles.“

Ein weiteres Lächeln kam zum Vorschein. “Na ja. Die Eltern haben nicht immer eine Ahnung davon, was ihre Kinder wirklich bewegt. Verstehst du das, Maren?“

Nein, nicht wirklich! Unruhig rutschte ich hin und her. Der Sitzsack erschien mir nicht mehr als die beste Wahl. Ohne zu fragen, wechselte ich auf das Stoffsofa mit afrikanischen Mustern. „Das ist eine ausgezeichnete Wahl“, lobte sie mich.

„Wie meinen sie das“, fragte ich verunsichert. Ich hatte doch nichts weiter gemacht als den Platz gewechselt.

„Du hast deinem Gefühl vertraut und dir etwas Bequemeres zu suchen. Nicht jeder hätte sich getraut, einfach den Platz zu wechseln“.

Ich verstand immer nur Bahnhof.

Jedoch kam sofort eine Erinnerung in mir hoch. „Ich möchte eigentlich auch nicht mehr in die Schule. Muss ich aber trotzdem“.

„Du sprichst da etwas sehr Wichtiges an. Es gibt gewisse Dinge im Leben, die muss man tun. Auch wenn man es gar nicht will“.

„Aber nicht jeder wird bespuckt und geschlagen in der Schule“, erwiderte ich aufgebrachter, als ich es eigentlich wollte.

„Welche Schule besuchst du gleich noch mal?“ Sie setzte eine Brille auf. Eilig blätterte die Psychologin ihre Unterlagen durch.

Ihr Blick war voller Mitgefühl. - So erschien es mir jedenfalls –

„Ich habe schon viele Patientinnen aus deiner Schule hier sitzen gehabt. Mobbing scheint dort wohl an der Tagesordnung zu stehen.“

Warum überraschte mich das jetzt nicht wirklich.

Die Stunde zog sich wie Kaugummi. Immer wieder versuchte sie das Gespräch auf meinen leiblichen Vater zu lenken. Ich hatte ihr mehrmals versichert, dass das Verhältnis zwischen ihm und mir, nichts mit meinem Suizidversuch zu tun hatte. Die Psychologin war da aber anderer Meinung. „Das Verhältnis zwischen Kinder und Eltern ist essenziell. Es beeinflusst das gesamte Tun und Handeln“, wollte sie mir weiß machen. Ich sah das anders. Meine Mutter hasste meinen Vater. Bei jeder Gelegenheit schimpfte sie über ihn. Manchmal musste ich ihr recht geben. Es kam öfter vor, dass er meinen Geburtstag vergaß. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es mir so zu schaffen machte, wie es die Psychologin zum Ausdruck brachte.

Wir machten einen neuen Termin aus. Frau Nadini hielt eine Therapie für äußerst wichtig für mich.

„Aber bitte sag rechtzeitig ab, falls du nicht kommen kannst“, bat sie mich.


Ich ging zu keinem weiteren Termin und sagte auch nicht ab. Die Stunde bei ihr hatte mir eigentlich gutgetan. Warum ich die für mich so notwendige Therapie abbrach, kann ich aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehen.

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