Zurück Susanne Rackwitz  

 

 

 Der frühe Vogel fängt den Wurm

Lisas Herz klopfte, als sie das Cafe betrat, in dem sie Eric treffen wollte.
Eric, 31, 185 cm groß, sportlich, mag klassische Musik, kocht gern und liebt romantische Abende … Ein Blind Date. Das Telefonat mit Eric vor zwei Tagen war total aufregend, Lisa hatte fürchterlich geschwitzt und anfangs ein bisschen herum gestammelt. Eric hingegen klang ganz locker und schlug ein Treffen im Cafe am Elisabethpark vor. Sonntag um 15.00 Uhr.

Wie verabredet, hielt Lisa eine rote Rose in der Hand. Aber sie war mehr als 40 Minuten zu früh dran. Ihre Mutter nannte das: Lisas Lagesondierung. Dabei war es Lisa einfach zuwider, irgendwo zu spät zu erscheinen. Und wenn sie aufgeregt war, erhöhte sich die Zeitspanne, die sie dem eigentlichen Termin voranstellte, enorm.

Das Cafe war für diese Uhrzeit schon sehr gut besucht und Lisa befürchtete bereits, keinen freien Tisch zu finden, als ein sympathisch aussehender Mann aufstand, einen 5-Euro-Schein auf seinem Tisch platzierte und direkt auf sie zukam. Sein Gesicht, vielmehr seine Augen, strahlten Lisa an. „Hallo Josefine! Schön dich kennen zu lernen.“
Ein warmer Händedruck, nicht zu fest, aber auch nicht zu lasch. Lisa blieb die Puste weg. Oh Gott, wie peinlich. Der verwechselte sie glatt! Und das, wo sie ohnehin so aufgeregt war.  „Christian Klasebrink, aber das weißt du ja schon.“ Das sagte der Mann mit den schönsten Augen, die Lisa je gesehen hatte, während er in altmodischer Manier die Hacken zusammen knallte und sich leicht verbeugte, wie einer der Offiziere in den alten deutschen Filmen.Lisa schnappte immer noch nach Luft. Die grünen Augen dieses Mannes waren faszinierend und von kleinen Lachfalten umrahmt, welche sich bis in die Wangen zogen. Genau wie es Lisa mochte. Jetzt oder nie musste sie den Irrtum aufklären. Atemlos setzte sie an: “Ähm, ja hallo …“
Christian unterbrach sie. „Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen durch den Park gehen? Hier ist es so voll und viel zu laut.“ Galant umfasste Christian Lisas Ellenbogen und führte sie aus dem Cafe, ihre Antwort gar nicht abwartend. Lisa musste ihm einfach folgen. Heute früh noch hatte sie geunkt, als das Horoskop im Radio ihr eine skurrile Begegnung prophezeit hatte. Na wenn das hier nicht skurril war?
Christian hatte ihren Arm noch nicht losgelassen und plauderte bereits munter drauf los: „Du bist noch viel hübscher, als auf dem Bild, das du mir geschickt hast. Schön auch, dass du dir heute doch die Zeit genommen hast. Bei deinem anstrengenden Beruf war das sicher nicht leicht.“ Er lächelte Lisa an und Lisa lächelte zögernd zurück. Wenn sie die Sache jetzt nicht aufklärte, dann war es zu spät. Wie bei einem unverhofften Treffen mit einem alten Bekannten. Der andere konnte sich an alles erinnern und man selbst wusste nicht einmal seinen Namen mehr. Wie schnell war da der Zeitpunkt vorbei, an dem man noch fragen konnte: „Entschuldige, wer bist du eigentlich?“.

Lisa holte noch einmal tief Luft, um diesem Christian Klasebrink zu sagen: „Du hör mal, ich bin nicht deine Josefine.“
Sie brachte keinen Laut über ihre Lippen. Wollte es vielleicht auch nicht wirklich, denn der Christian gefiel ihr sehr. Einen knappen Kopf war er größer als sie, dunkles Haar, länger nicht geschnitten, weshalb sich die Locken im Nacken kräuselten. Schön konnte man Christian nicht nennen. Seine Nase war ein bisschen zu lang geraten, aber die Lippen schienen einfach zum Küssen gemacht und seine Stimme hatte einen warmen Klang. Auf einmal fühlte sie sich locker und gelöst. Was sollte schon schief gehen? Sie würde die gefährlichen Klippen umschiffen, denn lügen mochte sie nicht. Und wenn der Irrtum aufflog, dann hatte sie wenigstens einen aufregenden Nachmittag. „Ja, da bin ich nun.“, hauchte Lisa und zauberte ein Funkeln in ihre Augen. Was Christian konnte, konnte sie doch schon lange.
Komm, wir gehen hier entlang. Da sind ein paar hübsche Brücken.“, sagte sie und fasste Christian zaghaft an der Hand.

Christians Hand war fest und trocken und vermittelte Lisa ein beruhigendes Gefühl, als kannte sie diesen Mann schon lange. Ganz locker und natürlich erzählte er über sich, stellte zwischendurch Fragen, bei denen Lisa etwas improvisieren musste, aber lügen? Lügen musste Lisa nicht. Nur, wenn Christian sie mit „Josefine“ anredete, zuckte etwas in ihr und verdarb ein wenig den Zauber des Nachmittags.

Längst war die Dämmerung heran gekrochen, aber die Gelegenheit, Christians Irrtum aufzuklären, hatte sich nicht ergeben. Auf Lisas Brust lastete inzwischen ein unangenehmer Druck. Was würde Christian tun, wenn sie ihm die Wahrheit sagte? Sie stehen lassen, sie anschreien, sie beschimpfen? Lisa seufzte und Christian, der ihr gerade mit ausgreifenden Bewegungen erläutert hatte, wie man sich bei einem Fallschirmsprung fühlt, sah sie an.
Du, Christian, hör mal.“
Oh. Ich vergaß, du musst ja noch zum Dienst.“ Christian sah sie an und grinste verschämt. Er nestelte an seiner Hemdtasche herum. Pass auf. Ich schreibe dir meine Adresse auf. Meine Telefonnummer kennst du ja schon. Melde dich doch oder komm vorbei, wenn du Lust hast, mich zu sehen.“  Er holte tief Luft. „Ich fand diesen Nachmittag wunderschön.“ Sagte es, küsste Lisa zart auf den Mund, drehte sich um und ging einfach davon.

Lisa stand wie ein begossener Pudel auf der Straße. Da begegnete ihr seit langem der charmanteste und attraktivste Mann, nett und intelligent, natürlich und locker und sie blödes Schaf vermasselte alles. Weil sie nicht den Mut gehabt hatte, ihm zu gestehen, dass er sich irrte. Verzweifelt schlang Lisa die Arme um sich und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Wie doof konnte man nur sein? Zu schüchtern für Männer wie Christian, zu gehemmt, nicht locker genug. Hätte sie doch einen Spaß aus dieser Verwechslungskomödie gemacht! Aber sie hatte nicht. Hatte nicht riskieren wollen, dass Christian sie stehen ließ und zu der wirklichen Josefine ins Cafe zurückkehrte. Nicht riskieren wollen, dass Christian sie für eine verklemmte Ziege hielt. Nicht, nachdem sie glaubte, sich in diesen Mann verlieben zu können. Vielleicht hatte sie sich schon verliebt. Das würde den Schmerz in ihrer Brust erklären. Lisa schüttelte den Kopf. Nun glitzerten doch Tränen auf ihren Wangen und sie lief so schnell es ging nach Hause, während es in ihrem Kopf hämmerte: „Blöde Kuh, blöde Kuh …“.

Zwei unruhige Tage und Nächte verbrachte sie. Sah Christians Gesicht vor sich, hörte seine Stimme, fühlte seine Hand in der ihren und war dabei so allein und unglücklich, wie man nur sein konnte. Am dritten Abend sah Lisa in den Spiegel, betrachtete ihre Augenschatten und die verquollenen Augen und sagte noch einmal laut: „Du blöde Kuh!“
So konnte es nicht weiter gehen. Sie würde Christian die Wahrheit sagen, von Angesicht zu Angesicht. Sicher hatte die richtige Josefine sich inzwischen schon bei ihm gemeldet und gefragt, warum er sie am Sonntag versetzt hatte. Na, wenn schon! Sie würde noch einmal in Christians Augen sehen können und wenn er ihr dann die Tür vor der Nase zuschlug, wusste sie, wofür er sie hielt. Für eine blöde – na, das kennen wir ja schon. Christian hatte erzählt, dass er gegen Vier Feierabend hatte und meist gegen Sechs zum Sport ging. Dazwischen würde Lisa ihn abpassen. Morgen.

In der Nacht schlief sie schlecht und wachte am nächsten Tag blass und wie gerädert auf. Brunnengasse 15. Christians Adresse begleitete Lisa durch den Tag und verursachte ihr eine Übelkeit, wie sie sie von Prüfungen kannte. Fehlte nur noch, dass ihr die Beine zitterten oder sie in Ohnmacht fiel. „Reiß dich zusammen.“ Das sagte sie sich ein Dutzend Mal und sehnte sich zugleich nach dem Augenblick, in dem sie Christian wieder sehen würde, während sie ängstlich danach schaute, dass der Zeitpunkt nicht zu schnell nahe rückte.  Auf dem Stadtplan hatte sie die Brunnengasse schon gefunden und als sie vor der Nummer 15 stand, kam ein junges Mädchen aus der Haustür und sah sie fragend an. „Klasebrink“, murmelte Lisa und schlüpfte durch die geöffnete Tür.

Das Haus war alt, aber gepflegt. Lisa zog sich an dem gedrechselten Geländer hoch. Ihre Beine waren wie Watte und drohten ihr ganz zu versagen, bevor sie den Klingelknopf drückte, neben dem ein fröhliches Schild „Klasebrink“ verkündete. Auch als Lisa ein zweites Mal klingelte, rührte sich nichts hinter der Tür. Lisa schniefte und sah auf ihre Uhr. Dieses eine Mal war sie nicht zu zeitig erschienen. Punkt Fünf war es. So hatte sie es geplant. Nur war Christian nicht da.

Verzweifelt und gleichzeitig ein bisschen erleichtert, hockte Lisa sich auf die Treppe. Sie hätte ihr Geständnis gern hinter sich gebracht. Andererseits fürchtete sie, dass sie Christian ziemlich gleichgültig war und er sich bereits halb tot gelacht hatte über das schüchterne Huhn, das er mit Josefine verwechselt hatte. Josefine war bestimmt eine geistreiche schöne Frau, mit der Lisa nicht mithalten konnte. Lisa schluckte und wollte gerade aufstehen, als sie Schritte hörte. Und dann sah sie in seegrüne Augen. Das dazugehörige Gesicht verwandelte sich wie der Horizont bei einem Sonnenaufgang. Zuerst strahlte es ganz leise und dann zog ein unvergleichliches Leuchten darüber.  „Christian!“
Gott sei Dank!“
Christian nahm die letzten Stufen mit Schwung, setzte sich neben Lisa und strahlte sie an. Lisa platzte heraus, was am Sonntag nicht über ihre Lippen wollte: „Ich bin nicht Josefine.“
Christian lächelte erneut, nahm Lisas Hand und sagte schlicht: „Ich weiß.“ Sah ihr in die Augen und sagte noch einmal: “Ich weiß. Wusste es schon die ganze Zeit.“
Woher?“, entfuhr es Lisa mit einem leisen Seufzen.
Es gibt keine Josefine. Die hab´ ich nur erfunden, damit ich dich nach draußen entführen konnte.“ Christian streichelte zärtlich über Lisas Wange.
Als ich dich dort stehen sah, so hilflos und bezaubernd. Mit der Rose in der Hand. Ich wusste, dass ich dich keinem anderen gönnen würde.“
Lisa lauschte atemlos. „Und ich habe so sehr gehofft, dass du mich nicht durchschaust. Bin tausend Tode gestorben, nachdem ich dir meine Adresse gegeben habe. Und nun bist du da.“
Ja, da bin ich nun.“, hauchte Lisa und sagte: „Übrigens. Ich heiße Lisa.“